Der Schrecken über das Unglück, das 2018 mit dem Einsturz der nur 40 Jahre alten Morandi-Brücke und dem damit verbundenen Tod von 43 Menschen geschah, saß noch tief, als Renzo Piano seinen Entwurf für den Brücken-Nachfolger vorstellte. In einer Rekordzeit von nur 10 Monaten wurde der Entwurf umgesetzt, nachdem der gebürtige Genuese sich gegen Santiago Calatrava hatte behaupten können.
Eine einfache und unkomplizierte, jedoch nicht gewöhnliche Brücke lautete das Entwurfsziel von Renzo Piano. Anders als ein rein technisches Verkehrsbauwerk sollte die nach Genuas Schutzheiligem benannte Ponte San Giorgio als Zeichen des Aufbruchs stehen und mit hohem sozialem, ökonomischem und strategischem Anspruch Modellcharakter für die Erneuerung der Verkehrsinfrastruktur Italiens bieten.
Visuelle Entmaterialisierung
Mit einer Länge von 1.100 Metern überspannt die neue urbane Brücke das Polcevera-Tal. In 45 Metern Höhe wird die 30 Meter breite, vier Fahrspuren und zwei Notspuren aufnehmende Fahrbahn von 18 Stahlbetonpfeilern, deren elliptischer Querschnitt 4,5 x 9 Meter beträgt, getragen. Die stromlinienförmige Gestaltung der Ellipse erlaubt dem Tageslicht, über ihre Oberfläche zu gleiten und den Brückenpfeilern damit visuell Masse und Präsenz im urbanen Kontext zu nehmen. Mit Ausnahme der drei zentralen 100 Meter langen Stützweiten, welche den Polcevera-Fluss und die Gleisanlagen der Bahn überqueren, beträgt die Distanz zwischen den Pfeilern jeweils 50 Meter. Strukturell und seismisch ist die Fahrbahn von den Pfeilern isoliert. So kann sie – bei unbeeinträchtigter Stabilität und Festigkeit – dank spezieller Stützvorrichtungen „atmen“. Mit diesem Ansatz wurde es möglich, die Abmessungen der Strukturen, Substrukturen und vor allem der Fundamente mit Rücksicht auf den hochgradig urbanen Kontext zu limitieren. Die Form der Fahrbahn indes erweist sich architektonisch von großer Bedeutung. Denn die allmähliche Verjüngung in Richtung der Brückenköpfe mindert visuell die Wucht der neuen Infrastruktur. Zudem lässt der helle Farbanstrich der Stahlelemente die Brücke mit der Landschaft harmonieren.
Aus bekanntem Grund genoss das Thema Sicherheit bei dem Bauprojekt oberste Priorität. So ist die Brücke zur infrastrukturellen Steuerung und Wartung mit automatischen Robot- und Sensorsystemen sowie einem Entfeuchtungssystem ausgerüstet, das die Bildung von salzigem Kondenswasser verhindert und Korrosionsschäden minimiert. Ein Überwachungssystem im Dauerbetrieb gewährt die ständige Kontrolle des Zustandes der Brücke und die von dem System erfassten Daten ermöglichen die Erstellung einer Datenbank, die ausgewertet, überwacht und als Grundlage für zukünftige Bauten desselben Typs verwendet werden kann.
Kunstlicht setzt die Anmutung der Brücke bei Dunkelheit fort
Das von Renzo Piano entworfene und von Italferr entwickelte Beleuchtungskonzept soll die Anmutung der Brücke bei Tage in der Dunkelheit fortsetzen. Dank einer subtilen professionellen Straßen- und Architekturbeleuchtung konnte es gelingen, die visuelle Entmaterialisierung, welche durch die Tageslicht-Streiflichter auf den Pfeilern und durch die filigrane Ausbildung des Brückenrandes realisiert ist, sowie die Assoziation an einen Schiffsrumpf auch am Abend und in der Nacht adäquat darzustellen. Während die funktionale Straßenbeleuchtung über ein einziges Element erfolgt, kommen für die Inszenierung der Brückenstruktur drei Leuchtentypen zum Einsatz: völlig neu entwickelte Leuchten und auch projektspezifische Modifikationen von Produkten, die bereits Bestandteil des großen iGuzzini-Portfolios sind.
Mastleuchten auf der Fahrbahnmitte spenden Funktionslicht und Sinnbildlichkeit
Zur Beleuchtung der Hauptfahrbahn wurden in der Mitte der Fahrspuren im Abstand von 50 Metern und somit analog zu den Brückenpfeilern 18 speziell entwickelte 28 Meter hohe Masten, die nach oben konisch auslaufen, positioniert. Dieselbe Beleuchtungslösung, jedoch in kleineren Abmessungen und auf niedrigeren Masten (14 Meter), wurde entlang der besonders anfälligen Sicherheitsbereiche, nämlich der Zufahrtsrampen und eines kurzen Anfangsabschnitts, eingesetzt.
Der von Renzo Piano für diese Masten entworfene Spezialleuchtkörper ist in seiner Form einer Pleuelstange nachempfunden. Das runde flache und aerodynamische Leuchtengehäuse ist mittels eines stählernen Profilauslegers, der die Leuchte auf die Straße ausrichtet, mit dem zylindrischen Mast verbunden. Diese Loslösung der beiden Leuchtenelemente erweckt den Eindruck schwebender Leichtigkeit.
Das die Spezialleuchte haltende Flanschsystem am Ende der Verjüngung des ersten Mastabschnitts integriert sich vollständig in die Bauform des Mastes. Die beiden Ausleger dagegen verbinden sich harmonisch mit Mast und Leuchtengehäuse. Zugunsten einer effektiven Ableitung der durch die LED erzeugten Wärme und der damit verbundenen Garantie langlebiger Leistungsfähigkeit wurde das Gehäuse aus gefrästem Aluminium gefertigt. Dank der glatten und gebogenen Oberfläche werden Wasserablagerungen vermieden.
Statt die Versorgungseinheit in dem auf 14 Meter Höhe installierten Leuchtengehäuse zu integrieren, wählte man dafür einen am Boden befindlichen wasserdichten Schaltschrank, der eine Wartung ohne Hubwagen ermöglicht. Der in drei Module aufgeteilte LED-Schaltkreis erlaubt bei Ausfallen eines Schaltkreises einen optimalen Ausgleich. Denn mittels automatischer Dimmung bringen die zwei übrigen Kreise dieselbe Lichtmenge auf die Straße.
Die im ligurischen Dialekt Zena (Genua) genannte projektspezifisch entwickelte Mastleuchte hält den natürlichen Beanspruchungen der Brücke und dem hohen Windaufkommen dank ihrer Konstruktion stand.
Spezialoptiken erzeugen Segel aus Licht
Mit ihren asymmetrischen Abstrahlwinkeln erzeugen die in den Leuchten verbauten Spezialoptiken, welche die für die Fahrspuren erforderlichen Lichtwerte garantieren, Segel aus Licht. Mit dieser Anspielung wirkt die Brücke einmal mehr wie ein weißes Linienschiff, welches das Tal durchquert und das östliche Levante-Ufer mit dem westlichen Ponente-Ufer verbindet. Mit zwei Platea Pro-Strahlern, die am Sockel der Masten eingelassen sind, wurde die Fahrbahnbeleuchtung zudem um ein szenografisches Element ergänzt. Zur Spitze jedes Mastes ausgerichtet, konzentriert sich der Lichteffekt der Strahler oberhalb der Verjüngung und macht das Gestaltungskonzept damit auch bei Dunkelheit erlebbar.
Szenografische Elemente für die Ästhetik
Weitere szenografische Elemente, die zum Sinnbildcharakter der Brücker beitragen, kommen an den seitlichen Abschlüssen und der Untersicht der Fahrbahnkonstruktion zum Tragen. Für die Inszenierung der Brückenbegrenzungen entwickelte iGuzzini miniaturisierte Spezialhängeleuchten mit breitstrahlender Optik und weichem Lichteffekt. In Reihenschaltung erzeugen sie über die gesamte Länge der Brücke beidseitig eine durchgängige Lichtlinie und unterstreichen den visuellen Schwebezustand der Infrastruktur. Jede der 1535 Leuchten ist mit einer an der Brückenstruktur befestigten wasserdichten Box mit Versorgungseinheit und Verkabelung ausgerüstet kann und über das obere Gitter, also in einer sicheren Zone innerhalb der Leitplanken, zu Wartungszwecken begangen werden.
Der Wartungsaspekt besitzt eine grundlegende Bedeutung für sämtliche Elemente, einschließlich der Beleuchtungslösungen. So wurden Versorgungseinheiten und Kabel von Anfang an als zugängliche Remote-Lösungen konzipiert, um die Inspektion und den Ersatz von Teilen zu begünstigen.
Für die Beleuchtung des Fahrbahn“bauchs“ wurden Linealuce-Lichtbänder zwischen den Köpfen der Pfeiler und den Stützvorrichtungen verbaut. Mit ihrer Ausrichtung heben sie den Rhythmus des Abfolgemusters der Pfeiler hervor. Auf den Ellipsen erzeugen die Lichtbänder Streiflichter, die den Effekt des Tageslichts nachahmen.
Auch abseits des Sicherheitsdenkens bleibt zu wünschen, dass die Ponte San Giorgio tatsächlich 1000 Jahre lang bestehen wird. Denn in ihrer wunderschönen, beinahe schon poetischen Anmutung hat sie längst den Status eines Wahrzeichens der Superba, wie Petrarca die ligurische Hauptstadt nannte.
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